Schüleraustausch, ich denke, darunter kann sich jeder etwas vorstellen. Zu Hause zurücklassen und ein komplett anderes Land mit anderer Kultur, anderen Regeln, anderer Schule kennenlernen. Klingt simpel und einfach, aber wie ist das denn am Ende wirklich und wie anders ist dieses „Anders“ denn?
Das habe ich mich auch vor 4 Monaten gefragt und um es dann herauszufinden meine Sachen gepackt und mich entschieden für ein halbes Jahr nach Canterbury in Kent, England zu fahren.
Wenn du einen Austauschschüler nach seinen Erfahrungen fragst, wirst du ein sehr positives Bild bekommen; „Ich habe so viele Freunde gemacht.“, „Meine Gastfamilie war super nett!“, und „Ich habe eine ganz andere Welt kennengelernt.“ und ja, das stimmt – auf der einen Seite. Ein Austausch wirft dich hinein in unbekannte Situationen, in ein neues Leben, aber es ist nicht so einfach wie oft dargestellt.
Für mich war es schwer, Alles und jeden zurückzulassen und in den ersten Monaten hatte ich Schwierigkeiten mich einzuleben. Das lag daran, dass die Schule mich zuerst etwas überforderte und ich keine gute Gastfamilie hatte.
Das Oberstufensystem in England ist so, dass man nur 3 oder 4 Fächer wählt und diese dafür jeden Tag hat. Die Fächerauswahl für die Oberstufe ist in England wahnsinnig vielfältig: Business, Film Studies oder Product Design sind nur ein paar der Kurse, die es bei uns nicht gibt. Ich habe mich dann für Französisch, Kunst und Theater entschieden und war in den ersten Wochen sehr überwältigt, weil die Intensität des Unterrichts und die gestellten Erwartungen hoch sind. Zusätzlich dazu ist Theater ein Fach, das bei uns leider nicht angeboten wird. Also musste ich mich an ein komplett neues Fach gewöhnen. Doch das habe ich geschafft, die Unterschiede waren zu spüren aber nach einiger Zeit habe ich mich an alles gewöhnt und weiß jetzt um ehrlich zu sein nicht mehr, wie ich nach Deutschland zurückkommen und dort so viele Fächer gleichzeitig bewältigen kann.
Die Situation mit meiner Gastfamilie war am Ende nicht so einfach. Bei einer Familie zu leben, die keine Zeit mit mir verbringt und bei der ich das Gefühl hatte, ungewollt zu sein, hat meine Zeit wahnsinnig schwer gemacht. Gerade am Anfang hatte ich nicht das Vertrauen in meine Freunde, das ich jetzt habe und ich wusste nicht mit der Situation umzugehen.
Nach den ersten eineinhalb Monaten habe ich meine Gastfamilie gewechselt und das veränderte meine Zeit hier. Ich habe angefangen, das Klischee-Austauschschüler-Leben zu haben: Ausflüge in verschiedene Städte wie Liverpool, Dover und London mit Freunden und Familie, Treffen mit neuen Freunden und endlich eine tolle Gastfamilie geben mir das Gefühl, ein zweites Zuhause gefunden zu haben. Ich weiß, es ist das Klischee schlechthin und ich klinge ein bisschen wie Lisa, die aus Australien zurückkommt, aber der Austausch hat mich verändert.
Er hat mich selbstständiger gemacht, ich habe Freunde in einem anderen Land, aber er hat mir auch gezeigt, wie viel meine Familie und Freunde in Deutschland wert sind. Meine Zeit hier ist noch nicht vorbei aber ich weiß, dass ich es vermissen werde. Gleichzeitig freue mich aber auch wieder zum Altbekannten zurückzukehren.
Um jetzt nochmal ein bisschen wie Lisa zu klingen: Es ist wie eine andere Welt, ein neues Leben und ein Neuanfang ohne alles verlieren zu müssen. Und auch wenn ein Austausch nicht einfach ist, weiß ich, wie viel er mir Wert ist und kann es jedem empfehlen ein „Anders“ kennenzulernen.
Irma W.