„Aufklärung und Wahrheit sind hohe Werte. Da sie schon immer verleugnet wurden, steht fest, dass sie die Pflicht jeder Zeit sind.“(Christian Amann, geb. 1966, freier Journalist und Alltagsphilosoph)
In den letzten Wochen haben wir uns im Deutschunterricht mit der Zeit der Aufklärung beschäftigt und sind zu der Frage gekommen, ob wir heute in einer aufgeklärten Gesellschaft leben; also in einer, in der Vernunft, Emanzipation, Toleranz, Bildung und allgemeine Menschenrechte alltäglich geworden sind.
Betrachtet man den Fortschritt und den Drang nach Neuentdeckungen als wichtigste Merkmale der Aufklärung, so müssten wir definitiv in einem aufgeklärten Zeitalter leben. Heutzutage streben immer mehr Menschen nach Wissen. Sie wollen Neues (er-)finden wie zum Beispiel Medikamente gegen Krebs. Es reicht ihnen nicht mehr, nur das zu wissen, was lebensnotwendig ist, sondern sie wollen über den Tellerrand hinausschauen.
Auch selbstständiges Denken und Hinterfragen von Informationen konnten sich als grundlegende aufklärerische Fähigkeiten durchsetzen. Nicht mehr alles zu glauben, was man hört, sieht, liest, sondern zu prüfen, ob Informationen wirklich stimmen können, sich selbstständig mit Themen auseinanderzusetzen und zu eigenen Meinungen zu gelangen sind Eigenschaften des aufgeklärten Menschen geworden.
Dennoch gibt es Handlungsbedarf. Trotz Aufgeklärtheit sind bestimmte Themen in unserer Gesellschaft noch nicht alltäglich geworden, so zum Beispiel Homosexualität. Zwar wurde die eingetragene Lebenspartnerschaft in diesem Jahr der Ehe gleichgestellt, aber gleichgeschlechtliche Liebe wird auch immer noch als Krankheit angesehen und in Ländern wie Russland oder Polen bestraft.
Hinsichtlich der Toleranz gegenüber Andersdenkenden und der Aufgeschlossenheit gegenüber Neuem und neuen Kulturen besteht ebenfalls Nachholbedarf, was die aktuelle Flüchtlingskrise zeigt. In Europa erklären sich längst nicht alle Länder bereit, Flüchtlinge aufzunehmen. Länder wie Italien, die mit Flüchtlingen überfüllt sind, fühlen sich hilflos und alleine gelassen. Das Verhalten Europas ist in diesem Punkt alles andere als human und aufgeklärt.
Nicht zu vergessen sind die allgemeinen Menschenrechte, die die Meinungsfreiheit und die Würde des Menschen umfassen. Während in Deutschland jeder seine Meinung frei äußern darf, niemand aufgrund dessen verfolgt oder bestraft wird, das Frauenwahlrecht selbstverständlich ist und die Würde der Menschen geschützt wird, gibt es auch Länder wie zum Beispiel die Türkei, Russland oder Polen, die das Recht auf freie Meinungsäußerung und die Pressefreiheit stark eingeschränkt haben. Dort muss man aufpassen, was man sagt und wie man sich verhält. In Ländern wie Indien, Pakistan und auf dem afrikanischen Kontinent arbeiten Menschen, auch Kinder, für Billiglöhne unter absolut menschenunwürdigen Verhältnissen. Es gibt nicht genug zu essen und Bildung ist nicht für jeden zugänglich.
Wägt man diese Argumente gegeneinander ab, kann man die oben gestellte Frage weder mit einem klaren „Ja“ noch mit einem klaren „Nein“ beantworten. Wir leben wohl in einer wissbegierigen und fortschrittlichen, aber nur teilweise toleranten und gebildeten Gesellschaft. Es ist also noch ein langer Weg zu einer völlig aufgeklärten Gesellschaft.
von Julia Angermann