Raabeblog: High On Life – Kurzgeschichte

Die fünfzehnjährige Sophie wird auf einer Party in ein angeblich lustiges Trinkspiel verwickelt. Doch plötzlich wendet sich das Blatt und sie gelangt in eine für sie scheinbar ausweglose Situation.

Dieser Abend war scheiße. Sophie war erst seit einer halben Stunde auf dieser Party und wollte am liebsten jetzt schon wieder verschwinden.
Heute hatte Tom aus ihrer Parallelklasse Geburtstag und feierte seinen Sechzehnten bei sich Zuhause – ohne Eltern verstand sich. Dazu hatte er beinahe den ganzen Jahrgang eingeladen. Sein Wohnzimmer quoll fast über vor lauter Teenagern und im Garten kotzten gerade die ersten in die Beete. Hatte sie schon erwähnt, dass sie Partys hasste? All die Leute, der Alkohol, die üblichen Spiele (Wahrheit oder Pflicht ließ grüßen) und die nicht immer gute Musik.
Sophie hatte es trotzdem geschafft sich aufzuraffen, ein bisschen zu stylen und hierher zu kommen. Nun bedauerte sie es. Netflix&Chill bei ihr zuhause wäre ja so viel entspannter gewesen! Sie saß in einer Ecke das Raumes und hütete einen Sitzsack. Alle paar Minuten schaute sie auf ihr Smartphone, um zu gucken, wie lang ihr Leid noch andauern würde. Im Moment sah es nach weiteren vier bis fünf Stunden aus.
Sophie wollte gerade aufstehen, um sich vielleicht eine Cola zu holen, da setzte sich Lena zu ihr. „Hi!“, rief diese laut und boxte ihr spielerisch in die Seite. „Coole Party, was?“
„Ähm…“, machte sie und wich Lenas Blick aus.
Die tat so, als brauche sie keine Antwort. „Draußen fangen sie gerade mit Trinkspielen an. Kommst du mit? Du sitzt hier so alleine.“ War letzteres ein Vorwurf oder eine Feststellung?
„Ich weiß nicht, eigentlich…“, fing Sophie kläglich an, eine Ausrede zu suchen. Auf gar keinen Fall wollte sie bei Trinkspielen mitmachen! Das war reiner Selbstmord!
„Komm schon, das wird lustig!“ Lena nahm ihren Arm, zog sie hoch und schob sie durch den halben Raum in den Garten. Sophie protestierte, doch gab auf halbem Weg seufzend auf.
Draußen stand eine Gruppe Jungs und Mädchen, unter anderem auch Liz und ihre Freundinnen, die gemeinsten und aufgetakeltsten Mädchen des Jahrgangs, um einen Tisch. Die beiden stellten sich dazu.
Tom fing an zu erklären, während er gekonnt die Spielkarten mischte. „Es werden im Uhrzeigersinn Karten gezogen und diese Regeln gelten: Wird ein Ass gezogen, darf derjenige bestimmen, wer einen Shot trinken muss, bei einer Acht ändern wir die Richtung, bei einem König müssen alle Spieler trinken, hat jemand eine Dame, trinken alle Mädchen, bei einem Buben alle Jungs. Wird eine Zehn gezogen, trinkt der linke Nachbar des Spielers, bei einer Neun der rechte.“
Sophie schluckte. Das konnte nur schief gehen.
„Okay, ich fange an.“, verkündete Tom und zog eine Karte. Bube. Die Jungs johlten und griffen bereitwillig nach Shots. Alle kippten ihn runter und verzogen dabei keine Miene.
Lena war die nächste. Sie zog eine Acht, und die Richtung wurde geändert.
So ging es erstmal entspannt weiter, bis Liz, diese Zicke, ein Ass zog und vor Freude aufschrie. „O mein Gott, wen nehme ich?!“ Ihr Blick schweifte durch den Kreis, der sich um den Tisch gebildet hatte und ihre Freundinnen rechts und links von ihr gaben ihr sekündlich Tipps. „Sophie!“, kreischte Liz urplötzlich und zeigte mit dem Finger auf sie. „Du hast noch gar nichts getrunken!“ Sie deutete den anderen an, ihr einen Shot zu geben.
Sophies Herz fing an zu rasen. Sie hatte gleich gewusst, dass es keine gute Idee war…
Die Jungs händigten ihr einen Shot mit durchsichtiger Flüssigkeit aus. O Gott, war das etwa Wodka?! Skeptisch beäugte Sophie das Getränk. Sie hatte noch nie Alkohol probiert. Und dann gleich Hochprozentiges?
„Komm schon!“, rief Tom. „Kipp runter!“ Die anderen Jungs waren gleicher Meinung.
Hilfesuchend sah sie zu Lena. Die nickte ermutigend. „So schlimm ist das nicht. Es brennt nur ein bisschen.“
Sophie hätte den Shot am liebsten ins Gras gekippt. „Ich weiß nicht, ich will das nicht trinken…“
„Du spielst aber mit!“, mischte sich Liz ein. „Das sind die Regeln. Wer Mitspieler ist, trinkt auch.“ Sie verschränkte demonstrativ die Arme vor der Brust.
„Ich kann das nicht!“, protestierte Sophie und kam sich vor wie ein Baby. Aber auf keinen Fall wollte sie das trinken. Wie sie Gruppenzwang hasste!
„Nun zwingt sie doch nicht!“ Marie eine Freundin aus ihrer Klasse kam dazu. Sie hatte nicht mitgespielt, aber setzte sich für sie ein? Das wunderte Sophie.
Die anderen murrten. „Das sind und bleiben die Regeln. Dann hätte sie nicht mitspielen sollen, wenn sie zu feige ist!“
„Spielt doch alleine weiter!“, entgegnete Marie und nahm Sophie beiseite. „Wieso machst du mit, wenn du nichts trinken willst? Ich trinke auch keinen Alkohol, deshalb würde ich da aus Prinzip nicht mitmachen.“
„Lena hat mich überredet.“, gab sie zu. „Ich hatte das Gefühl, mitmachen zu müssen! Danke, dass du mich da rausgeholt hast.“
Marie lachte. „Kein Problem!“

Sarah Jürges